Von Menschen und Maschinen

Computer-Pionier und Geheimcode-Entschlüssler: Alan Turing gehört gewiss zu den erstaunlichsten Genies der Wissenschaftsgeschichte.

Alan Turing
Alan Turing

Kluge Leute gibt es viele, ganz besonders in der Wissenschaft. Doch ab und zu gibt es Menschen, die nicht nur klug sondern genial sind, die ihr Fachgebiet umkrempeln oder einen völlig neuen Forschungszweig begründen. Einer dieser ganz besonderen Menschen war Alan Turing. Er gilt als einer der Väter der modernen Informatik, er konnte den Geheimcode der Nazis knacken und spielte damit eine wichtige Rolle im zweiten Weltkrieg. Seine Ideen über Computer und die Fähigkeiten, die sie vielleicht eines Tages haben könnten, sind heute noch gültig und vielbeachtet.

Turing wurde 1912 in London geboren. Schon früh zeigte er Talent für Mathematik - das Fach, das er dann auch am King's College in Cambridge studierte. Im Jahr 1936 – Turing war damals keine vierundzwanzig Jahre alt – veröffentlichte er seine wohl wichtigste Publikation. Noch bevor die ersten elektronischen Rechenmaschinen gebaut wurden, gelang es Turing, Rechenmaschinen abstrakt zu beschreiben. Lange bevor die ersten Programmiersprachen entwickelt wurden, konnte Turing, nur mit Papier und Bleistift, bereits an der Frage arbeiten, was Computerprogramme eigentlich können und woran sie für immer scheitern werden. Er entwickelte das Konzept der Turing-Maschine und löste damit das "Halteproblem", eines der großen mathematischen Rätsel seiner Zeit.

Orakel-Maschinen

Seine Arbeit über Turingmaschinen brachte ihm die Möglichkeit, in Princeton (USA) bei dem berühmten Mathematiker Alonzo Church an seiner Dissertation zu arbeiten. Dort führte er unter anderem das Konzept von „Orakel-Maschinen“ in seine Berechnungen ein – hypothetische Rechenmaschinen, die komplizierte Probleme in einem einzigen Schritt lösen können. Auch wenn sich solche Maschinen niemals bauen lassen, ist dieses Konzept für die theoretische Informatik interessant. Es hilft, Rechenprobleme in bestimmte Komplexitäts-Klassen einzuteilen.

EnigmaEin General wartet auf die Entschlüsselung eines Funkspruchs (1940, deutsches Bundesarchiv).
Quelle: [1]

Das Knacken der Nazi-Codes

Nach seiner Dissertation kehrte Turing nach Großbritannien zurück und wurde zum wichtigen Kopf eines geheimen Regierungsprojektes. Der zweite Weltkrieg stand unmittelbar bevor – die britische Regierung benötigte Mathematiker, um die Geheimcodes der deutschen Streitkräfte knacken zu können. Auf den ersten Blick könnte man meinen, militärische Geheimcodes zu entziffern sei etwas ganz anderes als Turings höchst abstrakte Arbeit über theoretische Informatik – doch Turing war genau der Mann, den man für dieses Vorhaben brauchte.

Die Nazis hatten die „Enigma“ entwickelt – eine hochkomplizierte Verschlüsselungs-Maschine, deren Codes als unentzifferbar galten. Ähnlich wie bei einer Schreibmaschine tippte man bei der Enigma die Nachricht Buchstabe für Buchstabe ein. Über ein ausgeklügeltes System aus veränderlichen elektrischen Schaltkreisen wurde jeder einzelne Buchstabe dann in einen anderen Buchstaben umgewandelt. Danach konnte die chiffrierte Nachricht verschickt werden. Wer wäre besser geeignet gewesen, einer solchen hochkomplexen Maschine auf die Spur zu kommen, als Turing - jener Mann, der sich schon jahrelang Gedanken über Automaten und ihre mathematischen Möglichkeiten gemacht hatte?

Unzählige Enigma-Variationen

In Bletchley Park, einem Landsitz nordwestlich von London, arbeiteten britische Spezialisten daran, die deutsche Enigma zu verstehen und nachzubauen. Sie bestand aus mehreren drehbaren Walzen, die auf astronomisch viele Arten eingesetzt werden konnten. Die Enigma zu besitzen half also noch nicht – um Funksprüche zu entschlüsseln, musste man auch die Anordnung und Position der Walzen kennen. Alle möglichen Walzenpositionen durchzuprobieren hätte unüberblickbar lange gedauert. Die Codeknacker von Bletchley Park mussten daher Schwachstellen im System finden - und das gelang ihnen auch. Beispielsweise codiert die Enigma niemals einen Buchstaben mit sich selbst. Beim Chiffrieren gibt die Maschine immer einen anderen Buchstaben zurück als man eingetippt hat. Das mag zunächst harmlos erscheinen – doch für die Codeknacker war es ein wichtiger Anhaltspunkt.

In Bletchley Park waren tausende Menschen angestellt – einen wichtigen Anteil am Erfolg hatte aber eine Maschine: die sogenannte „Turing-Bombe“, basierend auf einem Vorläufermodell des Polen Marian Rejewski. Hat man einen Funkspruch, den man entziffen will, und kennt man einen Begriff, das in dieser Nachricht vermutlich vorkommt (etwa „Oberkommando der Wehrmacht“ oder auch „Wetterbericht“), dann kann man mit Hilfe der Turing-Bombe in kurzer Zeit eine große Anzahl möglicher Walzen-Einstellungen ausschließen. Wenn man Glück hat, bleiben so wenige übrig, dass man sie nacheinander durchprobieren kann. Mit der Turing-Bombe, einer der ersten großen automatischen Rechenmaschinen, konnten viele deutsche Nachrichten korrekt entschlüsselt werden. Wie sehr die Arbeiten rund um das Codeknacken und die Turing-Bombe in weiterer Folge zum Entwicklung des elektronischen Computers beigetragen haben, ist schwer zu sagen – Alan Turing und seine Kollegen reihen sich aber mit ihren Arbeiten jedenfalls in die Reihe der großen Computer-Pioniere ein.

Turingtest
Der Turing-Test: Eine Person führt zwei Gespräche: eines mit einem Computer, eines mit einem Menschen. Kann man Mensch und Computer unterscheiden?

Künstliche Intelligenz

Seit diesen Jahren hat sich viel verändert. Heute gibt es Computerprogramme, die Schachweltmeister bezwingen, Gesichter auf digitalen Fotos erkennen oder Wetterprognosen berechnen. Davon war man damals noch weit entfernt. Trotzdem war Turing bereits klar, dass die Möglichkeiten des Computers sehr weit reichen. Auch das menschliche Gehirn war für ihn bloß ein sehr kompliziertes Rechengerät, das prinzipiell durch eine Maschine nachgebildet werden kann. Muss man also einer Maschine ab einer gewissen Rechenkapazität so etwas wie Bewusstsein und echte Denkfähigkeit attestieren?

Diese Frage beantwortete Alan Turing ganz pragmatisch: Wenn sich ein Mensch mit zwei unbekannten Gesprächspartnern unterhält, einer echten Person und einem Computer, und er aufgrund des Gespräches nicht sicher herausfinden kann, wer der Computer und wer der menschliche Gesprächspartner ist, dann muss man zugeben, dass der Computer wirklich denken kann. Als „Turing-Test“ bezeichnet man ein solches Experiment. Mittlerweile gibt es Programme, die sprachliche Konversationen simulieren können, doch den Turing-Test hat bisher noch kein Computer wirklich bestanden. Trotz der großen Fortschritte in der Computer-Rechenleistung scheinen wir von intelligenten Computern noch immer weit entfernt zu sein.

Turing-Statue Statue von Turing an der University of Surrey
Quelle: [2]

Vom Kriegshelden zum Angeklagten

Man könnte erwarten, dass ein Mann wie Alan Turing, der eine gesellschaftsverändernde Technologie mitbegründet und wichtige Beiträge zur Lösung einer weltkriegsentscheidenden Aufgabe leistet, bis an sein Lebensende als Held gefeiert wird. Leider war das nicht der Fall. Nachdem Anfang der Fünfzigerjahre Turings Homosexualität bekannt wurde, klagte man ihn vor Gericht an. Um eine Haftstrafe zu vermeiden, stimmte Turing einer Hormontherapie zu. Bald litt er unter Depressionen. Im Juni 1954, noch keine 42 Jahre alt, starb Alan Turing unter unklaren Verhälnissen an einer Vergiftung. Man vermutet, dass es sich um Selbstmord durch einen vergifteten Apfel handelte.

Posthume Ehrungen

Manche Leute werden leider erst nach ihrem Tod so richtig geehrt: Heute steht außer Zweifel, dass Alan Turing einer der ganz Großen in der Geschichte der Mathematik und der Informatik war. Der größte Preis, den es in der Informatik zu gewinnen gibt, und der deshalb gerne als „Informatik-Nobelpreis“ bezeichnet wird, trägt ihm zu Ehren den Namen „Turing Award“. Im Jahr 2009 hob der britische Premierminister Gordon Brown öffentlich Turings Leistungen hervor, betonte seine Bedeutung für den Kampf gegen den Nationalsozialismus und bedauerte die Behandlung, die Turing im eigenen Land erfahren musste. Brown schloss mit dem Satz: „So on behalf of the British government, and all those who live freely thanks to Alan’s work I am very proud to say: we’re sorry, you deserved so much better.“ Da hatte Brown wohl recht.



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Quellen- und Lizenzangaben

[text], naklar/flai
[1], Wikimedia Commons, General wartet auf die Entschlüsselung eines Funkspruches, Lizenz: Creative Commons Share Alike
[2], Wikimedia Commons, Statue von Alan Turing, Lizenz: gemeinfrei