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Vorsicht, Strahlung!
Erdstrahlen und Wasseradern - die kunterbunte Welt der Radiästhesie
weitverbreiteter Aberglaube mit jahrhundertealter Tradition
Die Suche nach Erdstrahlen und Wasseradern ist vielleicht die populärste unter den esoterischen Pseudowissenschaften. Selbst durchaus rational denkende Menschen lassen sich oft einreden, dass sie ihr Bett unbedingt in eine andere Ecke ihres Schlafzimmers schieben müssen, weil sich sonst genau unter ihrem Kopf eine heimtückische Wasserader mit bösartigsten Erdstrahlen kreuzt. Doch auch wenn Wünschelrutengänger und Pendler noch so viel Geschäft damit machen: Radiästhesie, die Suche nach diesen mysteriösen Strahlungen, ist wissenschaftlich betrachtet purer Unfug. Das Interessante an Radiästheten ist, dass sie sich sehr bemühen, wissenschaftlich zu wirken. Vermutlich ist das der Grund dafür, dass so viele Leute an diese Dinge glauben. Bei Radiästheten finden wir saubere Tabellen, Zahlen und Theorien. Wenn man Webseiten über Erdstrahlungen liest, könnte man manchmal beinahe glauben, es handle sich dabei um anerkannte Physik - doch mit echter Physik hat es wenig zu tun.
Radiästhesie kann wissenschaftlich leicht untersucht werden, doch so einer Untersuchung hat sie noch nie standgehalten. Um das verstehen zu können, muss man sich zunächst ansehen, was Wünschelrutengänger überhaupt machen.
Wasseradern
Wünschelrutenfreunde versuchen uns einzureden, die Erde sei von Wasseradern, quasi unterirdischen Bächen durchzogen. Das stimmt aber nicht: Das Grundwasser breitet sich flächig aus, nicht in Adern oder Strömen. Wenn man sich nicht gerade im Gebirge über einer wasserführenden Höhle befindet, kann man davon ausgehen, dass das Wasser im Untergrund sehr gleichmäßig verteilt ist. Oft werden Brunnen dort gegraben, wo Radiästheten eine Wasserader vermuten, und wenn dann tatsächlich Wasser hervorsprudelt, wird das als wunderbarer Erfolg der Radiästhesie verkauft. Interessanter wäre es, das Gegenteil auszuprobieren: Dort wo ein Wünschelrutengänger sicher ist, keine Wasserader anzutreffen könnte man einen weiteren Brunnen graben - und man würde dort genauso Wasser finden. Tatsache ist: Wenn man nicht gerade auf einem Hügel steht, wird man immer auf Grundwasse stoßen, wenn man in die Erde bohrt.
Erdstrahlen
Noch spannender als angebliche Wasseradern sind die Erdstrahlen. Von ihnen gibt es unterschiedliche Sorten: Das Hartmanngitter (auch Globalnetz genannt) verläuft in geraden Linien von Nord nach Süd und von Ost nach West. Die Abstände zwischen den Gitterlinien betragen in Nord-Süd Richtung 2 Meter, und in Ost-West-Richtung 2.5 Meter. Diese Abstände sind überall gleich, unabhängig von der geographischen Breite. (Es wäre nun brennend interessant, wie das Hartmanngitter in der Nähe des Nordpols aussieht, wenn dort, wo sich alle Längengrade in einem Punkt treffen, das Hartmanngitter noch immer brav seine 2 mal 2.5 Meter misst.) Zusätzlich dazu gibt es auch noch das Currygitter, das von Nordost nach Südwest und Nordwest nach Südost verläuft. Es schneidet das Hartmanngitter auf der ganzen Welt in einem Winkel von 45 Grad. Versuchen Sie mal, auf einer Orange zwei rechtwinkelige Gitter einzuzeichnen, die sich überall im 45-Grad-Winkel schneiden, Sie werden sehr schnell erkennen, dass es soetwas nicht geben kann. Warum Radiästheten so haarsträubend dumme (und leicht zu widerlegende) Behauptungen aufstellen, ist schwer zu verstehen. Wenn man schon eine Theorie frei erfindet, dann sollte sie doch wenigstens auf den ersten Blick glaubwürdig wirken.
Bovis
Radiästheten können angeblich nicht nur feststellen, wo Erdstrahlen sind, sie können auch ihre Stärke angeben, und zwar in der Einheit "Bovis". Mit dieser Einheit wird nicht nur die Strahlung von Orten gemessen, sondern auch der Energiegehalt von Nahrungsmitteln. Um so eine Energiemessung durchführen zu können, braucht man weder besondere Kenntnisse noch Erfahrung, sondern nur eine Bovis-Skala auf einem Stück Papier und ein Pendel. Selbst wenn es die mystischen Strahlungen oder "Energien", nach denen hier gesucht wird, wirklich gäbe, wäre diese Messung absurd: Der Mensch ist kein geeichtes Messgerät. Wir können keine Zahlen für Sinneseindrücke angeben. Welche Wellenlänge hat das Licht einer grünen Ampel? Wie weit ist der Kirchturm am Horizont entfernt? Wie schwer ist der Kochlöffel, den wir in der Hand halten? - Wenn wir viel Erfahrung haben, können wir für solche Messgrößen vielleicht Schätzungen angeben, aber die Annahme, der Mensch (und ein Pendel oder eine Wünschelrute) könnte von sich aus Strahlungswerte angeben wie ein physikalisches Messgerät, widerspricht jeder Erfahrung darüber, wie unsere Sinne funktionieren.
Wellenlängen-Messung
Die Sache wird aber noch erstaunlicher: Wie man auf vielen Internetseiten nachlesen kann, entspricht die Einheit "Bovis" der physikalischen Längeneinheit "Angström". (Ein Angström ist ein Zehnmilliardstel Meter.) Bovis gibt, so wird behauptet, die Wellenlänge der gemessenen elektromagnetischen Strahlung an. Die Pseudowissenschaft Radiästhesie sieht sich also nicht als spirituelle Theorie, sondern arbeitet mit naturwissenschaftlichen (und naturwissenschaftlich überprüfbaren) Größen wie elektromagnetischen Feldern, Strahlungen und Energien.
Gesunde und böse Energie
Ein gesunder Mensch, so wird behauptet, hat eine Strahlungsenergie, die 12000 Bovis oder Angström entspricht, Orte oder Lebensmittel mit einer Strahlung unterhalb dieser 12000 Bovis raubt uns Energie, besonders energetisierte, gesunde Nahrungsmittel, oder besondere "Kraftorte" haben eine Strahlung von über 12000 Bovis und stärken uns. Ein sakraler, energiereicher Ort wie eine Kirche kann schon mal 18000 Bovis oder mehr haben. Warum die offenbar rein intuitiv eingeführte Einheit "Bovis" nun erstaunlicherweise zufällig genau mit der wohldefinierten Einheit "Angström" übereinstimmt, konnte noch niemand erklären, aber das spielt eigentlich auch keine Rolle. Wellenlängen von Strahlungen sind in der Physik wohlbekannt, Strahlung in diesem Energiebereich kann problemlos physikalisch gemessen werden. (Der Bereich von etwa 4000-7000 Angström beispielsweise entspricht den Wellenlängen von sichtbarem Licht, daran ist nichts Unerforschliches.) Trotzdem gelingt es mit keinem physikalischen Messgerät, diese Wellen, die mit Pendeln und Wünschelruten angeblich so eindeutig feststellbar sind, nachzumessen. Besonders kurios ist die Vorstellung, höhere Wellenlängen würden sich auf besonders energiereiche Strahlung beziehen. Aus der Physik wissen wir, dass die Energie von Strahlung mit zunehmender Wellenlänge abnimmt: Hohe Bovis-Zahlen würden demnach also eigentlich zu energiearmer Strahlung gehören, wohingegen besonders energiereiche Strahlung (etwa Gammastrahlung) auf dieser Skala nahe bei Null angesiedelt wäre. Man erkennt also recht rasch, was hier geschieht: Um Glaubwürdigkeit vorzutäuschen verwenden Radiästheten Begriffe aus der Physik, ohne sie auch nur annähernd zu verstehen, und zimmern daraus eine Theorie, die in sich widersprüchlich ist.
Warum sollten wir Radiästheten misstrauen?
Radiästhesie ist keine spiriuelle Theorie, sie gibt vor, Aussagen über die physisch erfahrbare Welt zu machen - und scheitert damit. Allerdings hat man mit der Erkenntnis, das Wünschelrutengläubige keine Ahnung von Physik haben, die Radiästhesie noch nicht widerlegt. Es könnte schließlich sein, dass Wünschelrutengänger auf eine Strahlung reagieren, die nicht der physikalisch bekannten elektromagnetischen Strahlung entspricht, sondern etwas vollkommen Neues, der Wissenschaft bisher Unbekanntes ist. Vielleicht verwenden sie nur die falschen Begriffe, beschreiben damit aber eine physikalische Wirklichkeit, die der Naturwissenschaft erst in hundert Jahren zugänglich sein wird? Vor hundert Jahren wusste man schließlich auch noch nichts über Gamma- oder Neutronenstrahlung! Das wäre theoretisch natürlich denkbar (auch wenn es sehr verwunderlich wäre, dass der Wissenschaft diese neue Strahlung noch nie aufgefallen ist), doch dann müsste diese mysteriöse Strahlung ja wissenschaftlich untersuchbar sein. Auch wenn wir keine Ahnung haben warum ein Effekt zustande kommt, können wir untersuchen, ob es ihn gibt. Wünschelrutengänger müssten reproduzierbare Experimente vorschlagen können, durch die man diese Strahlung untersuchen kann - und das können sie nicht. Genau darin liegt der wahre Grund, warum man solchen Leuten misstrauen sollte.
Lässt man eine Reihe von Wünschelrutengängern unabhängig voneinander ein Grundstück auf Strahlen untersuchen, erhält man von ihnen vollkommen unterschiedliche Ergebnisse. Das allein sollte eigentlich reichen, um die Radiästhesie als sinnlose Pseudowissenschaft zu entlarven - aber die Wünschelrutengänger rechtfertigen das mit der Erklärung, sie würden eben auf unterschiedliche Sorten von Strahlung ansprechen. Ob das nun bedeutet, dass alle diese Strahlungssorten gefährlich sind, erfährt man nicht. Wenn ich fünfzig Erdstrahlungsexperten mein Schlafzimmer auspendeln lasse, bleibt danach sicher kein Quadratmeter mehr übrig, auf dem nicht irgendeiner von ihnen böse Strahlungen gefunden hätte. Was mache ich dann?
Blindversuch
Wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema Radiästhesie gibt es viele. Die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) testete Wünschelrutengänger und Pendler mit Hilfe eines einfachen Experimentes: Zehn Eimer wurden in einer Reihe aufgestellt. Einer von ihnen wurde mit Wasser gefüllt, alle anderen blieben leer. Nachdem die Eimer abgedeckt worden waren, sollten die Radiästheten herausfinden, wo sich das Wasser befand. Mit großer Selbstsicherheit gingen sie ans Werk, deutlich und unverkennbar schlugen die Wünschelruten aus - allerdings fast nie bei den Eimern, die tatsächlich mit Wasser gefüllt waren. Nach stundenlangen Messreihen zeigte sich: Die Radiästheten hatten eine Trefferquote, wie man sie auch durch bloßes Raten gehabt hätte.
Testvorschläge - Bitte ausprobieren!
War das vielleicht einfach nicht der richtige Test um die übersinnlichen Fähigkeiten der Wünschelrutengänger voll zur Geltung zu bringen? Kein Problem - es wäre ganz einfach, sich noch viele weitere Testmethoden auszudenken.
Angeblich sind das Hartmann- und Currygitter, die an den Himmelsrichtungen ausgerichtet sind, leicht aufzufinden. Ein Wünschelrutengänger müsste also problemlos in der Lage sein, ohne Kompass die Himmelsrichtungen festzustellen. Es wäre sehr interessant, ob das (ohne Zuhilfenahme der Sonne oder der Sterne) funktioniert (bespielsweise nachts, in einer großen Turnhalle).
Wenn Wünschelrutengänger behaupten, unterirdisch fließendes Wasser finden zu können, wäre das auch sehr einfach zu überprüfen: Man müsste nur unterirdisch ein wasserführendes Rohr verlegen und sehen, ob Wünschelrutengänger feststellen können, wie es verläuft.
Viele Wünschelrutengänger behaupten, man könne Lebensmittel mit Steinen oder speziellem Wasser "energetisieren", sodass sie einen höheren Bovis-Wert aufweisen. Man könnte sie also in einem Doppelblindversuch energetisierte und nicht energetisierte Lebensmittel untersuchen lassen, und dabei sehen, ob ein Wünschelrutengänger sie unterscheiden kann.
Gutes Geld mit faulem Zauber?
Man sieht leicht, es wäre gar kein Problem, Beweise für das Funktionieren der Radiästhesie zu bringen, würde sie tatsächlich funktionieren. Hätten Wünschelrutengänger echtes Interesse daran, wissenschaftlich ernst genommen zu werden, müssten sie nur solche überprüfbaren Experimente durchführen. Das könnte aber ihre Geschäfte empfindlich stören. In Wirklichkeit gibt es nur ein einziges wirklich reproduzierbares Experiment der Radiästhesie: Engagieren Sie einen beliebigen Wünschelrutengänger, sagen Sie ihm, sie hätten Schlafstörungen und lassen Sie Ihre Wohnung untersuchen. Er wird immer eine Wasserader oder eine Erdstrahlungskreuzung direkt unter ihrem Bett finden. Garantiert. Egal wo Sie Ihr Bett hinstellen.