Quantenzufall

Die Quantenphysik eine neue, fundamentale Form des Zufalls in die Physik ein. Dabei ist die Quantenphysik zunächst eigentlich ganz und gar nicht zufällig.

Jeden Tag wird unser Leben von Zufälligkeiten bestimmt. Es ist Zufall, dass ich auf der Straße Onkel Toni treffe, es ist Zufall, dass in der U-Bahn heute mein Ticket kontrolliert wird, es ist Zufall, dass ich viermal hintereinander eine Sechs würfle. Auch die Quantenphysik hat viel mit Zufall zu tun, doch dort spielt der Zufall eine fundamental andere Rolle.

WürfelSo ein Zufall!

Der deterministische Würfel

Zufall ist einfach ein Wort, das wir verwenden, wenn wir für ein Ereignis keine Ursache sehen. Normalerweise hat das mit mangelnder Information zu tun: Welche Zahl ich würfle hängt von so vielen Faktoren ab, dass ich es niemals vorhersagen kann: Von der Geschwindigkeit des Würfels und der Richtung, in die ich ihn werfe, vom Luftzug, von mikroskopischen Unregelmäßigkeiten im Inneren des Würfels, vom Tisch, auf dem er auftrifft. Eine physikalische Vorhersage der Würfelzahl ist daher praktisch unmöglich – doch wenn ich all diese Fakten sehr genau kennen würde, dann wäre die Würfelzahl prinzipiell berechenbar. Aus genau definierten Anfangsbedingungen kann man im Prinzip mit beliebiger Genauigkeit vorherberechnen, was in Zukunft passieren wird.

Purer Zufall in der Quantenphysik

In der Quantenphysik gibt es allerdings zufällige Ereignisse, die prinzipiell unvorhersagbar sind – auch dann, wenn man alle verfügbare Information kennt, die es über ein Quanten-System überhaupt gibt. Das ist ein seltsamer Gedanke. Ein schönes Beispiel ist ein radioaktives Atom: Niemand kann sagen, wann es zerfallen wird. Wir können sehr präzise die Wahrscheinlichkeit angeben, mit der es in der nächsten Stunde zerfällt – doch was nützt mir eine Wahrscheinlichkeit bei einem einzelnen Atom? Wenn man sehr viele von ihnen hat, sind statistische Wahrscheinlichkeitsaussagen zielführend: Von einer Milliarde radioaktiver Atome werden nach der Halbwertszeit noch ziemlich genau fünfhundert Millionen übrig sein. (Auf ein paar Atome mehr oder weniger kommt es in dem Fall wohl nicht an.) Aber den Zerfallszeitpunkt eines einzelnen Atoms kann man auch dann nicht vorhersagen, wenn man alles über das Atom weiß, was es überhaupt zu wissen gibt. Er ist rein zufällig.

Zerfallender AtomkernRadioaktiver Zerfall: Unvorhersagbarer Quanten-Zufall

Das ist eine neue Qualität des Zufalls und eine etwas gewöhnungsbedürftige Tatsache. Bis zur Entwicklung der Quantenphysik ging man davon aus, dass jeder Vorgang im Universum einen klaren Grund hat. Aus gegebenen Ursachen muss immer zwingend eine bestimmte Wirkung folgen. Die Quantenphysik macht diese Sache nun zumindest etwas komplizierter. Quantenphysikalische Ereignisse wie der Zerfall eines radioaktiven Atoms können spontan eintreten, ohne wirkliche Ursache. Allerdings: Das Problem des Quantenzufalls taucht nur auf, wenn gemessen wird. Ein Quanten-System, das von der Umwelt isoliert ist und durch keine Messung beeinflusst werden kann, verhält sich streng vorhersagbar.

Quanten-Determinismus: Das Gegenteil von zufällig

Einzelne Teilchen werden in der Quantenphysik durch Wellenfunktionen beschrieben: Eine mathematische Größe, die vollständig sämtliche Information enthält, die es über ein Teilchen gibt. So lange man ein Quanten-System isoliert betrachtet, gibt es dort auch keinen Zufall. Kennt man die Wellenfunktion zum aktuellen Zeitpunkt, kann man daraus mit Schrödingers berühmter Gleichung die Wellenfunktion zu jedem beliebigen anderen Zeitpunkt vorherberechnen – das ist völlige Vorherbestimmung, also das Gegenteil von Zufall. Wenn man die Wellenfunktion, also die quantenphysikalisch vollständige Beschreibung eines Objektes, als „eigentliche Wirklichkeit“ betrachtet, dann kann man nirgendwo von Zufall sprechen. Nur leider ist das eine Sichtweise, die unseren menschlichen Gewohnheiten nicht gerade entgegenkommt.

Überlagerte WürfelWürfel können nie quantenmechanisch überlagert sein - sie sind dafür viel zu groß. Wie zeigen daher immer eine eindeutige Zahl.

Die Wellenfunktion beschreibt nämlich Zustände in Form von Überlagerungen: Aus ihr lässt sich herauslesen, dass ein Atom nach einer gewissen Zeit einen Überlagerungszustand aus ganz und zerfallen einnimmt, dass ein Teilchen sich an verschiedenen Orten gleichzeitig befinden kann (wie etwa beim Doppelspaltexperiment). Auf dieser Ebene brauchen wir keinen Zufall. Allerdings haben wir es in unserem täglichen Leben mit viel größeren Objekten zu tun, und dort lässt sich die Welt nicht mehr in solchen Überlagerungen beschreiben. Wenn wir das winzig kleine Quanten-System (etwa ein einzelnes Elektron) messen wollen, müssen wir es notwendigerweise in Kontakt mit einem großen Objekt bringen – mit einem Messgerät und letztlich mit uns selbst. Damit ist das Quanten-System nicht mehr isoliert zu betrachten, und genau an diesem Punkt hört die Vorhersagbarkeit auf. Durch die Messung, durch den Kontakt des Quanten-Systems mit etwas Großem, geht die Überlagerung kaputt und aus den überlagerten Zuständen wird ein eindeutiger beobachteter Zustand: Ein zerfallener oder ein ganzer Atomkern, ein Elektron dass sich an einem bestimmten Punkt befindet und nirgendwo sonst. Welche dieser Möglichkeiten zum Zeitpunkt der Messung realisiert wird, das ist purer Quantenzufall, das lässt sich niemals vorhersagen.

Das Große und das Kleine

Die Quantenphysik selbst ist also durchaus deterministisch und vorhersagbar, so lange wir uns kleine Objekte ansehen. Dort wo sich Zustände quantenphysikalisch überlagern können, gibt es keinen Quantenzufall. Erst beim Messprozess, beim Kontakt des Quantensystems mit etwas Großem, ist die Überlagerung kein gutes Bild mehr. Die Welt wählt aus den überlagerten Möglichkeiten eine bestimmte aus - und das ist zufällig. Wie auch das Rätsel der Quanten-Überlagerung im Doppelspaltexperiment entsteht unsere Schwierigkeit mit dem Quanten-Zufall bloß aus dem Problem, die Welt des Großen und die Welt des Kleinen sauber miteinander zu verbinden. Die Quantentheorie erscheint uns nur deshalb so seltsam, weil wir so viel größer sind, als die Objekte, die man normalerweise quantenmechanisch beschreibt.



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Quellen- und Lizenzangaben

[text], naklar/flai