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Es klappt nur, wenn niemand hinsieht
In der Quantenphysik lässt sich der Beobachter vom Experiment nicht immer sauber trennen – das führt zu seltsamen Konsequenzen.
Zuschauen verboten?
Ein Zauberer, dessen Trick nur funktioniert, wenn niemand hinsieht und der jedes Mal kurz das Saallicht ausschaltet, bevor er ein Kaninchen aus dem Hut holt, wird wohl keine große Fangemeinde bekommen. Wenn wir etwas glauben sollen, wollen wir es genau beobachten können. In der Quantenphysik ist das allerdings nicht ganz so einfach. Quantenteilchen können verschiedene Zustände gleichzeitig annehmen – man nennt das „Superposition“. Beobachten lässt sich das so direkt aber nicht – der Beobachtungsprozess beeinflusst das Experiment, Beobachter und Versuchsobjekt sind nicht immer ganz klar zu trennen.
Mein Bleistift hat eine bestimmte Farbe und eine bestimmte Größe. Er liegt an einem bestimmten Ort und hat eine bestimmte Geschwindigkeit. Wir ordnen ganz selbstverständlich allen Objekten rund um uns gewisse Eigenschaften zu, und haben gelernt, dass diese Eigenschaften eindeutig feststehen: Wenn der Bleistift auf dem Tisch liegt, dann liegt er nicht auf dem Boden, wenn es ein roter Bleistift ist, dann ist er nicht blau. In der Quantenphysik muss man sich von dieser Vorstellung eindeutig festgelegter Eigenschaften verabschieden – und genau diese merkwürdige Tatsache lässt die Quantenphysik oft etwas verwirrend und schwer verständlich erscheinen. Dabei muss man sich eben nur damit abfinden, dass winzig kleine Quanten-Objekte, wie etwa Elementarteilchen, Atome oder Moleküle, eben auch verschiedene Zustände gleichzeitig annehmen können. Ein Elektron kann sich gleichzeitig rechtsherum und linksherum um den Atomkern drehen. Ein Atom kann gleichzeitig ganz und zerfallen sein. Ein Lichtteilchen kann sich gleichzeitig links und rechts an einer Trennwand vorbeibewegen. Das klingt für uns seltsam, weil sich die Dinge, mit denen wir täglich zu tun haben, wie Bleistifte, Fußbälle oder Kaffeetassen, eben nicht so benehmen – für Quantenteilchen ist das aber ganz normal.
Hier und gleichzeitig woanders
Das Doppelspaltexperiment: Ein Teilchen geht durch zwei verschiedene Schlitze gleichzeitig.
Im Doppelspaltexperiment wird ein Quantenteilchen – etwa ein Lichtteilchen, ein Elektron oder ein Atom – auf eine Platte mit zwei Schlitzen geschossen. Erstaunlicherweise zeigt sich, dass das Teilchen durch beide Schlitze gleichzeitig dringt und sich dahinter wellenartig mit sich selbst überlagert. Dadurch entsteht hinter den Schlitzen ein Wellenmuster, das sich nur durch die Annahme erklären lässt, dass das Teilchen zwei verschiedene Wege gleichzeitig zurückgelegt hat. Es liegt in einer Überlagerung des Zustandes „rechts“ und des Zustandes „links“ vor. Das klingt natürlich seltsam. In der Wissenschaft bekommt man auf eine klare Frage normalerweise eine klare Antwort, wenn man alle Fehlermöglichkeiten ausschaltet, sauber arbeitet und ganz genau misst. Und auf die Frage, durch welchen von zwei Schlitzen sich ein Teilchen bewegt, soll es nun plötzlich keine Antwort geben? Was ist, wenn wir das Teilchen mit großem Aufwand ganz genau beobachten – was tut es dann?
Das ist eine der wichtigsten Fragen in der Geschichte der Quantenphysik – und sie hat schon viele ausgesprochen kluge Leute sehr verwirrt. Es gibt viele Möglichkeiten, genau zu vermessen, durch welche Öffnung ein Teilchen gegangen ist. Man kann beispielsweise hinter einem der Schlitze einen starken Laserstrahl positionieren, der den Zustand des Teilchens verändert, wenn es durch diesen Schlitz kommt. Erstaunlicherweise läuft nun das Experiment aber völlig anders ab: Sobald man den Weg des Teilchens genau verfolgt, legt das Teilchen nicht mehr beide Wege gleichzeitig zurück, sondern jedes Mal nur noch einen – das Wellenmuster, das durch Überlagerung von zwei möglichen Wegen entstanden ist, verschwindet. Durch die Entscheidung des Experimentators, den Weg des Teilchens zu beobachten, wird das Experiment also verändert. Die Beobachtung zwingt das Teilchen dazu, sich für eine der Möglichkeiten zu entscheiden.
Geheimnisvolle Bewusstseinskraft?
Das klingt fast gespenstisch: Der Beobachter hat also Einfluss auf die Beobachtung? Eine bewusste Entscheidung – nämlich die Entscheidung, dass der Weg des Teilchens gemessen werden soll – verändert das Verhalten des Teilchens? Ist unser Denken, unser Bewusstsein am Ende auf geheimnisvolle Weise mit den Quantenteilchen verbunden? – Viele seltsame, oft recht esoterische Gedanken wurden in diesem Zusammenhang niedergeschrieben. In Wirklichkeit hat die Quantenphysik natürlich nichts mit gespenstischen Effekten zu tun, weder unser Wille noch unser Bewusstsein spielt hier eine Rolle. Der Schlüssel zum Verständnis dieses Phänomens ist ein ganz simpler Gedanke: Quantenphysikalische Phänomene sind nur in kleinen Systemen sichtbar – etwa bei einzelnen Teilchen. Eine genauere Beobachtung, eine präzise Messung bringt das Quantensystem ganz zwangsläufig in Kontakt mit etwas Großem – mit einem Messgerät, mit einem Beobachter. Das Teilchen und das Messgerät bilden zusammen ein System, das viel zu groß ist, um quantenphysikalische Eigenschaften sichtbar werden zu lassen. Daher dürfen wir uns auch nicht wundern, wenn es mit den Quanten-Eigenschaften vorbei ist, sobald wir genau nachsehen. Das liegt nicht an einem mysteriösen bösartigen Willen des Teilchens – es liegt schlicht und einfach daran, dass wir und unsere Messgeräte zu groß sind.
Die Überprüfung fixiert erst das Ergebnis
Das betrifft nicht nur das Doppelspaltexperiment, sondern alle Quanten-Überlagerungen. Ein Atom kann gleichzeitig ganz und zerfallen sein – aber wenn man misst, ob es noch ganz ist, legt man seinen Zustand dadurch fest und bekommt ein eindeutiges Messergebnis. Ein Elektron kann sich gleichzeitig rechts- und linksherum drehen, aber wenn wir seine Drehung messen, ist es mit der Überlagerung vorbei und wir zwingen es, sich im einen oder im anderen Zustand zu zeigen. Wenn man im Experiment eine Möglichkeit einbaut, den Quantenzustand genau zu ermitteln, dann koppelt man das Teilchen damit an die Außenwelt. Statt eines kleinen Systems, das Quanten-Eigenschaften zeigen kann, hat man dann ein großes Gesamt-System, bei dem die Quanten-Eigenschaften nicht mehr sichtbar sind. Ob man die Messdaten dann tatsächlich bewusst von der Anzeigetafel abliest und mit ihnen die Teilchen-Eigenschaften ausrechnet, ist völlig unerheblich. Die bloße Möglichkeit, aus irgendwelchen physikalischen Größen den Zustand des Teilchens bestimmen zu können reicht aus, um die Quanteneffekte (beim Doppelspaltexperiment: die Wellen-Überlagerungsmuster) zu zerstören. Ob ein „bewusster Beobachter“ die Messung durchführt oder eine Maschine spielt dabei natürlich auch keine Rolle. Aussagen, wonach in der Quantentheorie plötzlich das Bewusstsein oder der menschliche Wille Eingang in die Physik gefunden hätten, stützen sich also auf ein Missverständnis.
Wir sind eben nun mal makroskopische Lebewesen, die nicht in der mikroskopischen Welt der Quantenteilchen zu Hause sind – daran können wir nichts ändern. Wir können viele Quanteneffekte nicht direkt beobachten und mit unseren Sinnen erleben, doch umso großartiger ist es, dass wir mit vielen klugen Experimenten die Welt der Quantenphysik trotzdem ergründen und verstehen können. Im Gegensatz zu einem Zaubertrick, der ziemlich langweilig ist, wenn man nicht genau hinsehen darf, macht die erstaunliche Verknüpfung von Beobachtung und Experiment die Quantenphysik noch spannender, überraschender und aufregender.