Sensationsmedien gefährden die Wissenschaft

In unserer Medienwelt zählt das Außergewöhnliche. So werden pseudowissenschaftliche Querköpfe oft zu Medienstars, obwohl sie es nicht verdient haben.

Ein Flugzeugabsturz ist eine Schlagzeile wert. Ein Flugzeug, das planmäßig ankommt, sicher nicht. Berichtenswert ist nur das Außergewöhnliche – das ist ein allgemein akzeptiertes Gesetz der Medienwelt. Für die Verbreitung des wissenschaftlichen Denkens hat das oft fatale Konsequenzen. Eine korrekte, sauber argumentierte und überprüfbare Theorie wird viele Anhänger finden und wirkt daher gewöhnlich und uninteressant. Das macht dann all jene, die eine falsche, absurde und eigentlich längst widerlegte Gegentheorie vertreten, zu exotischen Außenseitern – und dadurch manchmal zu Medienstars. Die Strategie, mit der wir diesem Problem begegnen, wird die Zukunft von Medien und Demokratie entscheidend beeinflussen.

Die Fundamente wackeln nicht

zwei plus zwei ist etwas mehr als vier
Unsinnige Behauptungen haben in den Medien nichts verloren - auch wenn sie spektakulär klingen.

In der Wissenschaft ist es nicht anders als in anderen Lebensbereichen: Es gibt Uneinigkeit, Streit, Eifersucht und Feindschaft. Natürlich stimmen Fachexperten über ihre aktuellen Forschungsfragen nicht immer überein: Stünden alle Antworten von vornherein fest, bräuchte man keine Forschung. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass über die wohlerprobten Fundamente der Wissenschaft normalerweise allergrößte Einigkeit besteht. Quantentheoretiker streiten vielleicht über die korrekte Interpretation von irgendwelchen neuen atomphysikalischen Messergebnissen – an die Gültigkeit der Quantenphysik zweifelt aber keiner von ihnen. Paläontologen mögen über die Bedeutung eines neugefundenen Fossils uneinig sein, doch keiner von ihnen wird die Gültigkeit der Evolutionstheorie in Frage stellen. Wenn die Leute, die sich beruflich jahrelang jeden Tag mit diesen Themen beschäftigen, über solche Theorien einer Meinung sind, dann ist das ein äußerst starker Hinweis darauf, dass diese Theorien tatsächlich sehr viel Wahrheit enthalten und auch in Zukunft als gültig betrachtet werden können.

Außenseitern soll man zuhören

Nun gibt es aber immer wieder Leute, die sich aus verschiedenen Gründen gegen diesen wissenschaftlichen Mainstream stellen – vielleicht, weil sie die Wissenschaft nicht richtig verstehen, vielleicht weil in übersteigerter Phantasie Fakten mit Vermutungen verwechseln, aber vielleicht auch, weil sie dafür gute Argumente gefunden haben, die bisher noch niemand gesehen hat. Wissenschaftliche Außenseiter liegen erfahrungsgemäß meistens falsch – aber sie haben selbstverständlich das Recht, ihre Ideen zu verbreiten und sich in ehrlicher Diskussion mit der etablierten Wissenschaft zu messen. In der Wissenschaftsgeschichte waren es bisher nicht die radikalen Außenseiter, die große wissenschaftlichen Umbrüchen angestoßen haben. Newton, Planck, Einstein – sie alle waren Leute, die zwar neue, wagemutige Ideen formulierten, aber das wissenschaftliche Mainstream-Wissen ihrer Zeit ordentlich gelernt hatten und ihre Überlegungen logisch und schlüssig an die Gedanken ihrer wissenschaftlichen Vorgänger anknüpfen konnten. Das heißt aber nicht, dass schrullig-verquere Außenseiter nicht auch einmal bahnbrechende Gedanken haben könnten. Wir sollten also auch Außenseitermeinungen unbedingt die Chance zugestehen, sich zu bewähren – solange diese Meinungen mit Argumenten untermauert werden.

Ungesichertes Wissen für die Zeitung?

Weltuntergang
Angstparolen und Weltuntergangsszenarien verkaufen sich immer gut.

Zum Problem werden skurrile Außenseitermeinungen aber dann, wenn sie unhinterfragt in die Medien geraten, und dort als wahr dargestellt werden - oder zumindest als Standpunkte, die der etablierten eWissenschaft ebenbürtig sind. Leider passiert das sehr leicht: Wer behauptet, die Wissenschaft aus den Angeln gehoben zu haben, macht sich automatisch interessant. Wer seine eigenen, exotisch klingenden Pseudo-Wissenschaftsbereiche erfindet – von geheimnisvoller Lichtnahrung bis hin zu Quanten-Reinkarnation – wird rasch zum gefragten Interviewpartner. Eine besonders gern gewählter Pfad zum Medienruhm ist die Verbreitung von Weltuntergangsszenarien. Killerbakterien, Todesstrahlen, Mörderchemikalien – je weltzerstörerischer umso größer die Auflage. Werden diese Behauptungen dann als Unfug entlarvt, ist das keine Pressemeldung mehr wert. Zweifel an etablierten Theorien ist interessant, die zwölftausensiebenhundertachte Bestätigung einer etablierten Theorien ist medial irrelevant. Das ist nicht die Schuld der Wissenschaft – das ist die Folge einer unehrlichen und oberflächlichen Medienwelt.

Demokratie heißt nicht Gleichheit von Wahr und Falsch

Aber - so könnte man einwenden - wenn es Uneinigkeit gibt zwischen Mainstream und Außenseitern, muss man dann nicht in einem demokratischen Diskurs zumindest beide Seiten medial zu Wort kommen lassen? Die Antwort ist ganz einfach: Nein! Das muss man gewiss nicht! Die Medienwelt ist ein permanenter Wettlauf um unsere Aufmerksamkeit – und manche Ideen, Gedanken und Theorien haben unsere Aufmerksamkeit einfach nicht verdient. Wenn man im Fernsehen einen Astrologen einem Astronomen gegenübersetzt, dann ist das kein gleichberechtigter Wettstreit verschiedener Sichtweisen, sondern eine Konfrontation zwischen mittelalterlichem Blödsinn und moderner Wissenschaft. Beiden in gleichem Maß Medienpräsenz zukommen zu lassen ist eine tragische Perversion des Gleichheitsgedankens.

Reporter und Alien
Manches sieht spektakulär aus, hat mit Wissenschaft, Wahrheit und Verstand aber nichts zu tun.

Dass Außenseitersichtweisen spannend sind, ist klar. Dass Journalisten manchmal über schräge Ideen berichten wollen, ist verständlich. Aber in solchen Berichten muss unbedingt auch klargestellt werden, ob es sich um eine ernsthafte neue Theorie handelt, die sich gerade erst verbreitet, oder ob es eine skurrile Verrücktheit ist, über die man in der Fachwelt nur den Kopf schüttelt. Keinesfalls darf man in falsch verstandener postmoderner Gleichmacherei den Fehler begehen, alle Sichtweisen als gleich akzeptabel auf eine Stufe zu stellen. Es gibt nun einmal fundierte Theorien und wackelige Theorien, es gibt Bauchgefühle und Fakten, es gibt Wahrheit und Unfug. Nicht jede Meinung hat dasselbe Gewicht. Auch in einer politischen Diskussionssendung würde man den frischgewählten Klassensprecher aus der Hauptschule Gerasdorf nicht gegen die Präsidentin von Frankreich antreten lassen.

Die Neugier nach Außergewöhnlichem lässt sich schließlich auch mit echter Wissenschaft befriedigen. Vielleicht muss man dann auf quotentreibende Weltuntergangsberichte, auf mystische Quantenheilungsgeschichten und auf nervenaufreibende UFO-Storys verzichten, aber ich bin ganz sicher: Auch in Wissenschaft und Forschung findet man ausreichend viele Themen, die uns vor Staunen nach Luft schnappen lassen.



Quellen- und Lizenzangaben

[text], naklar/flai