Das Volk will neues Opium

Astrologie ist vielleicht angenehm, löst aber keine Probleme

Auf den Bestsellerlisten klettern Mondkalender in schwindelerregende Höhen. Die Horoskope der Tageszeitungen erklären uns schon beim Frühstückskaffee, warum es besser gewesen wäre, im Bett zu bleiben. Im Weiterbildungsinstitut der Wirtschaftskammer werden nun ganz offiziell diplomierte Astrologen ausgebildet. Sterndeuterei und ähnliche esoterische Absonderlichkeiten sind offenbar im Aufwind.

Rationales Denken und die Naturwissenschaften haben uns Einblicke in die Natur geschenkt, von denen man noch vor hundert Jahren nichts ahnen konnte. Technische Erfindungen erleichtern unseren Alltag, moderne Medizin ermöglicht uns ein gesünderes, längeres Leben als es irgendeine Generation vor uns hatte. Diese strahlendhellen Triumphe des kritischen, naturwissenschaftlichen Denkens müssten doch eigentlich dazu führen, dass esoterischer Aberglaube endlich wegschmilzt wie Schnee im April. Warum ist es nicht so?

Weg mit der Eigenverantwortung?

Eine Zeit des Individualismus, in der man entweder erfolgreiche Ich-AG ist, oder eben ein unfähiger Verlierer, in der das Dogma herrscht, dass jeder alles schaffen kann, wenn er sich bemüht, und dass der Tellerwäscher, der noch immer kein Millionär ist, eben nicht gut genug war, bringt vielleicht ganz automatisch das Bedürfnis hervor, diese unfassbar erdrückende Verantwortung, aus dem Leben etwas Erfolgreiches zu machen, an irgendeine andere Instanz abzugeben. Man kann religiös sein, und sich bei seinen Entscheidungen auf ein göttliches Wesen ausreden. Man kann Fußballfan sein, und behaupten, wenn Rapid nicht Meister wird, sei ohnehin alles egal. Man kann aber auch in die Astrologie fliehen, dann war man nicht selbst schuld, wenn etwas schief geht, sondern der unselige Einfluss des Saturn im dritten Haus.

Ist Astrologie einfach eine kuschelweiche Rückzugsmöglichkeit, eine verständliche, vielleicht sogar notwendige Reaktion auf den harten Zeitgeist? Nein. Die Astrologie hat einen Fehler: Sie funktioniert nicht. Astrologie löst keine Probleme, sie lenkt nur ab, sie trifft für uns irrationale Entscheidungen, sie macht unfrei. So wie für den Suchtkranken seine Droge keine echte Lösung für persönliche Schwierigkeiten ist, kann auch die Astrologie keine gesellschaftlichen Probleme lösen.

Geringschätzung der Wissenschaft

Wenn vereinzelte Esoteriker Horoskope erstellen, kann man darüber lächeln. Wenn aber Astrologie zum Massenphänomen wird und das naturwissenschaftliche Fundament öffentlicher Bildungseinrichtungen wegzuspülen droht, dann muss man sich Sorgen machen. In einer Studie der EU von Dezember 2001 bezeichnen 53 Prozent der Befragten Astrologie als „ziemlich wissenschaftlich“. Astrologie schlägt damit noch Ökonomie (42 Prozent) und Geschichte (33 Prozent). Es ist dieselbe Studie, in der zwanzig Prozent der Befragten behaupten, die ersten Menschen hätten gleichzeitig mit Dinosauriern gelebt und 26 Prozent der Meinung sind, die Sonne kreise um die Erde. Solche Zahlen sind nur auf den ersten Blick lustig. Wenn zwischen Esoterik und Wissenschaft nicht mehr unterschieden wird, wenn elementarstes Grundwissen über die Natur fehlt, wenn Menschen viel Geld für Wirkungsloses ausgeben, dann ist das rationale Fundament unserer Gesellschaft in Gefahr, das uns seit der Aufklärung Fortschritt und Freiheit verschafft hat.



Weiterlesen...



Quellen- und Lizenzangaben

[text], www.CHiLLi.cc, in Kooperation mit CHiLLi.cc