Esoteriker sind nicht dumm

Jeder von uns glaubt an seltsame Dinge. Auch als kritischer Skeptiker sollte man sich nicht immer superschlau und überlegen fühlen.

Über Wünschelrutengänger ärgern wir uns, an Heilkristalle würden wir niemals glauben, bei Astrologie schütteln wir angewidert den Kopf. Skeptiker, also Menschen mit einem aufgeklärten, naturalistischen Weltbild, haben erkannt, dass es Theorien und Glaubenssysteme gibt, die längst widerlegt sind, die niemandem nützen, die nur unsere Zeit vergeuden, wenn wir sie ernst nehmen. Aus diesem Grund glauben Skeptiker gerne, sie seien unermesslich schlau und halten andere Leute für dumm – und genau das ist ein Problem. Aberglaube ist zwar falsch, aber seien wir mal ehrlich: Er ist ziemlich naheliegend.

Unser Gehirn hat sich im Lauf der Evolution so entwickelt, dass wir halbwegs plausible Theorien recht schnell glauben, ohne jedesmal nach einem Beweis zu fragen. Das ist ganz natürlich und lebensnotwendig: Der urzeitliche Sammler, der dort Früchte suchte, wo er schon mal welche gefunden hatte, wurde satt. Ein früher Skeptiker, der darauf hinwies, dass ein einmaliger Früchtefund statistisch nicht signifikant ist und keineswegs als Entscheidungsgrundlage dienen sollte, der ist eher verhungert. Jeden Tag vertrauen wir unzähligen Aussagen und Theorien, für die wir keine gesicherten Beweise haben. Wir probieren alte Hausmittel aus, die angeblich gegen Kleidermotten helfen, wir stecken Wechselgeld ein, ohne es nachzuzählen, wir gehorchen dem Navigationsgerät im Auto, wenn es uns befiehlt, links abzubiegen. Ist es wirklich so viel naiver und unverständlicher, das Bett zu verrücken, weil darunter angeblich eine gewaltige Wasserader plätschert, oder auf den segensreichen Einfluss des Saturn im Zeichen des Steinbocks zu hoffen?

Was unsere natürliche Leichtgläubigkeit von Aberglauben unterscheidet ist die Beharrlichkeit, mit der man auf seinem Glauben klebenbleibt: Vernünftige Menschen sind bereit, ihre rasch gefassten Überzeugungen und Annahmen umzustoßen, wenn sie durch eindeutige Fakten ins Wanken geraten. Esoteriker halten ihre Theorien auch dann noch mit fest zugekniffenen Augen innig umklammert, wenn sich diese Theorien längst als nutzloser Unsinn erwiesen haben. Das ist keine Taktik, mit der man im Leben viel Erfolg hat, aber oft ist dieses Verhalten durchaus verständlich: Wir haben es eben nicht gern, unsere Vorstellungen ändern zu müssen. Wir haben die natürliche Tendenz, Tatsachen, die uns bestärken, überzubewerten, und Tatsachen, die unseren Ideen widersprechen, auszublenden. Wir mögen Erklärungen, die möglichst einfach sind, und für uns wenig Aufwand bedeuten. Wenn man sich in einem Wochenendseminar zum heilkräftigen Energethiker ausbilden lassen kann, während ein Medizinstudium mindestens sechs Jahre dauert, ist es dann verwunderlich, dass esoterisches Geschwurbel schnell auf Begeisterung stößt?

Das Tolle an der Wissenschaft ist, dass sie uns ermöglicht, zwischen wackeligen Bauchgefühl und soliden Tatsachen zu unterscheiden. Subjektiven Meinungen können objektive Fakten entgegengesetzt werden. Wir sollten uns immer bemühen, die wissenschaftliche Methode zu unserem Vorteil zu nutzen. Wir sollten auch offen und bereitwillig andere Leute, die an falschen Theorien festkleben, mit richtigen Informationen versorgen. Wir sollten uns aber keine Illusionen machen: Jeder von uns leidet immer wieder unter unwissenschaftlichem Selbstbetrug, wir alle haben unsinnige Theorien im Kopf, die wir mit Überzeugung verteidigen würden, obwohl sie nicht durch saubere Fakten gestützt werden. Wir kaufen das tolle Joghurt aus der Fernsehwerbung und sind sicher, dass danach unsere Verdauung besser funktioniert. Wir geben teures Geld für Luxuswein aus, obwohl wir nie ausprobiert haben, ob und der billigere nicht im Blindtest genauso gut schmecken würde. Wir sind vollkommen überzeugt von der Qualität der neuen Stereoanlage – doch bilden wir uns die Klangverbesserung nicht einfach nur ein? Wir kaufen das Auto, dass sich sicherer anfühlt, vertrauen der Zeitung, der wir immer schon vertraut haben, und sieben beim Kuchenbacken das Mehl, weil das die Oma auch schon so gemacht hat.

Nichts davon ist gefährlich oder problematisch. Aber vielleicht kann uns ein wenig Selbstbeobachtung dabei helfen, etwas mehr Verständnis für Irrationalitäten aufzubringen. Wer an falsche Theorien glaubt ist weder dumm noch bösartig – sondern meistens einfach in einem bestimmten Punkt nicht ausreichend gut informiert. Mit hocherhobenem Zeigefinger fremde Weltbilder zu durchbohren und sich selbst unsagbar überlegen und aufgeklärt zu fühlen bringt selten etwas. Eine gewisse Leichtgläubigkeit ist vermutlich fest in den Verschaltungen unseres Gehirns eingebaut, und das ist auch nicht tragisch. Durchsuchen wir also unser eigenes Hirn nach kleinen Unsinnigkeiten, die sich dort abgelagert haben, und seien wir ein bisschen großzügig mit den Unsinnigkeiten in fremden Hirnen. Wenn jemand an Esoterisches glaubt, hat er dafür meistens gute Gründe. Nur gibt es eben noch bessere Gründe, daran nicht zu glauben.



Quellen- und Lizenzangaben

[text], naklar/flai