Gott war nur scheintot

Neue Atheisten gegen überzeugte Gläubige: über Religion wird wieder heftig gestritten

Wissenschaft gegen Religion - ein Widerspruch?
Wissenschaft gegen Religion - ein Widerspruch?
Quelle: [1]

Zehntausende Menschen schwenken am Petersplatz in Rom begeistert ihre Fahnen und jubeln dem Papst zu. Pilgerreisen boomen: ein Internetanschluss, ein paar Mausklicks und schon ist eine Fahrt zum Heiligen Vater gebucht – Audienz inklusive. Rechte Parteien in Österreich entdecken ihre christlichen Wurzeln wieder, während George W. Bush in seinen Gesprächen mit Gott den Einmarschbefehl in den Irak erhält und islamistische Terroristen bereit sind, für ihren Glauben in den Tod zu gehen. Kein Zweifel: Religion ist wieder in Mode.

Der neue Atheismus

Doch die neue Religions-Begeisterung blieb nicht ohne Gegenbewegung. Parallel zum Aufschwung fundamentalistischer Religiosität ist weltweit auch ein Atheismus-Boom wahrzunehmen. Richard Dawkins, Evolutionsbiologe und Professor in Oxford, gilt als Symbolfigur des „neuen Atheismus“. In seinem Buch „The God Delusion“ („Der Gotteswahn“) stellt er Religionen als gefährlichen Irrweg dar und predigt einen modernen, wissenschaftlichen Rationalismus. Weltweit wurden mehr als 1,5 Millionen Exemplare des Buches verkauft, auch in Österreich hält es sich noch immer in den Bestsellerlisten.

Gott Vater, wie Michaelangelo ihn sich vortellte
Gott Vater, wie Michaelangelo ihn sich vortellte
Quelle: [2]

„Gott ist ein bösartiger Tyrann“

Dawkins gehört zu den radikalsten Religionsgegnern. Für ihn ist Religion kein harmloses Privatvergnügen, sondern gefährlicher Nährboden für Radikalismus. „Stellen wir uns eine Welt ohne Religion vor“, schreibt er: „Keine Selbstmordattentäter, kein 11. September, keine Anschläge auf die Londoner U-Bahn, keine Kreuzzüge, keine Hexenverfolgung, kein Krieg zwischen Israelis und Palästinensern.“ Die Bibel ist für den Biologen kein Buch mit Vorbildwirkung: „Der Gott des Alten Testaments ist wahrscheinlich der unangenehmste Charakter in der gesamten Literatur: Ein rachsüchtiger, blutrünstiger, ethnischer Säuberer; ein frauenfeindlicher, homophober, rassistischer, kindermordender, völkermordender, böswilliger Tyrann.“

Religion polarisiert wie nie zuvor

„Dass der Atheismus wieder hochkommt, war eine Frage der Zeit“, meint Karl Baier, Theologieprofessor an der Universität Wien. „In den Achtzigerjahren und zu Beginn der Neunzigerjahre gab es diesen aggressiv auftretenden Atheismus nicht mehr wirklich, es herrschte eher Interessenlosigkeit. Das Thema war abgehakt. Doch jetzt, mit dem Großwerden fundamentalistischer Strömungen in verschiedenen Religionen ist natürlich der Atheismus wieder da.“ Die neuen Religionskritiker sind keine einheitliche Bewegung. Ebenso wie es unter religiösen Menschen ein breites Spektrum von sozial engagierten Liberalen bis hin zu papsttreuen Konservativen gibt, findet sich in der Gruppe der Nichtreligiösen ein bunter Mix verschiedener Weltanschauungen. Die Palette reicht von überzeugten Atheisten, für die Gott eine gefährliche Fiktion ist, über Agnostiker, die jede Frage nach der Existenz Gottes für prinzipiell unbeantwortbar halten, bis hin zu Säkularisten, die sich vor allem dafür einsetzen, Staat und Religion sauber voneinander zu trennen.

Richard Dawkins - Aushängeschild der neuen Atheisten
Richard Dawkins - Aushängeschild der neuen Atheisten
Quelle: [3]

Scharfe Töne in den USA

Das Verhältnis zwischen Agnostikern und frommen Gläubigen ist in den USA traditionell angespannter als in Europa. Ein Präsident, der seinen Krieg gegen den Terror öffentlich als „crusade“ (Kreuzzug) bezeichnet und seine Kampfeinsätze gegen Muslime als gottgewollte Notwendigkeit sieht, schadet nicht nur dem Verhältnis zwischen Christen und Muslime, sondern auch dem Verhältnis zwischen Christen und Nicht-Gläubigen. Der scharfe Ton, den Richard Dawkins wählt, ist nicht zuletzt durch seine Auseinandersetzungen mit evangelikalen Christen in den USA geprägt. Einer von ihnen ist der prominente Fernsehprediger Ted Haggard. In seinen Fernsehauftritten, die Dawkins mit dem Reichsparteitag der Nazis in Nürnberg verglich, wetterte Haggard vehement gegen Evolutionstheorie und Homosexualität, bevor er sich wegen eines Sexskandals selbst aus der Öffentlichkeit zurückziehen musste.

Die Schwulenbewegung als Vorbild

Ein Atheist als Präsidentschaftskandidat wäre in den USA heute kaum vorstellbar – es ist immer noch ein echter sozialer Nachteil, nicht an Gott zu glauben. Das veranlasste die Amerikaner Paul Geisert und Mynga Futrell die Vereinigung „The Brights“ zu gründen. Um als Bevölkerungsgruppe selbstbewusst sein zu können, befanden Geisert und Futrell, brauchen die Nicht-religiösen einen identifikationsstiftenden Namen. „Gottlos“ oder „atheistisch“ sind Wörter mit negativem Beigeschmack, ein neuer Begriff war notwendig. So wie die Schwulenbewegung den positiv besetzten Begriff „gay“ annahm, um mehr gesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen, schlugen Geisert und Futrell vor, das Wort „Bright“ als Synonym für einen aufgeklärten, nicht-religiösen Menschen zu verwenden. Dawkins und andere prominente Religionskritiker unterstützten die „Brights“ von Anfang an, mittlerweile stößt diese Bewegung auf weltweites Interesse.

Wissenschaft gegen Religion

Ein leidenschaftlich umstrittenes Thema bleibt das Verhältnis zwischen Religion und Wissenschaft. Wenn die Wissenschaft die Entstehung des Lebens oder den Beginn des Universums ergründet, dringt sie in Gebiete vor, die bisher der Religion vorbehalten waren. Noch wird in Europas Schulen Evolutionstheorie unterrichtet, ohne dass das ernsthaften Widerspruch durch Kreationisten hervorrufen würde. Doch spätestens seit der Wiener Kardinal Schönborn mit seinen Überlegungen über „Intelligent Design“ die Evolutionstheorie in Frage stellte, wird man auch in Österreich das Verhältnis zwischen Mystik und Rationalität, zwischen Religion und Wissenschaft wieder überdenken müssen. „Man sollte versuchen, Wissenschaft und Religion sauber zu trennen, um besser ins Gespräch zu kommen“, meint dazu der Theologe Karl Baier. Er plädiert für einen friedlichen Dialog: „Wissenschaft und Religion stehen heute in Konkurrenz zueinander, das ist eine relativ neue Entwicklung. Ich halte das nicht für nötig, wenn man erklärt, welcher Wirklichkeits- zugang wofür kompetent ist und wofür nicht.“

Darf sich Religion in die Wissenschaft einmischen? Hat Wissenschaft etwas über Religion zu sagen?
Darf sich Religion in die Wissenschaft einmischen?
Hat Wissenschaft etwas über Religion zu sagen?
Quelle: [4]


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Quellen- und Lizenzangaben

[text], www.CHiLLi.cc, in Kooperation mit CHiLLi.cc
[titel], naklar.at, Collage
[1], naklar.at, Collage
[2], Sixtinische Kapelle, public domain
[3], Shane Pope, Richard Dawkins, CC-BY
[4], naklar.at (flai), Collage